Klimakrise
Was sind die Zutaten einer Tragödie? Eine Tragödie gliedert sich in fünf Akte – die Exposition, die Komplikation, den Klimax, den Wendepunkt und die nicht zu vermeidende Katastrophe. Eine weitere, antike Zutat ist eine festliche Prozession mit Gesang, die häufig durch den Gott des Rausches begleitet wird. So trieb und treibt Dionysos sein Unwesen und das Drama nimmt seinen Lauf. Zentrales Motiv ist aber die menschliche Katharsis, die durch die Darstellung von Mitleid und Schrecken ausgelöst werden soll.
Thorsten Klapsch‘ fotografisches Werk braut sehr ästhetisch, geradezu auf den ersten Blick zurückhaltend ganz eigene dionysische Cocktails vor unseren Augen zusammen, die zur menschlichen Ignoranz und gleichzeitigen Empfindsamkeit viel zu sagen haben.
So bezeugen seine Klimakrise-Serien, an denen er seit 2013 fortwährend arbeitet, treffend des Pudels Kern der Tragödie, nämlich wie „jemand“ – in der Regel aus einer gewissen gesellschaftlichen Stellung – „schuldlos schuldig“ wird und damit den Sturz über eine große Fallhöhe erlebt. Klapsch führt uns eindrucksvoll vor Augen, dass dieser „jemand“ nicht irgendein „jemand“ ist, sondern wir, die wir ein winziger Teil dieser Erdengeschichte sind, die sich nicht nur an den Rändern in Auflösung befindet. Mir stellt sich die Frage, ob uns Klapsch mit seinen Bildkompositionen charmant die kathartische Erlösung verstellt oder sie durch das Mittel der Mimesis einlöst?
Fest steht, dass seine Fotografien Widerspruch und Verzweiflung bezeugen: da ist der bittere Wettlauf gegen die Zeit, der die Menschen in alle Richtungen zu Akteur:innen des Absurden werden lässt. Der Grad der Absurdität, den wir in der Serie Klimazeugen Alpen miterleben, lässt sich nur schwer messen. Da ist einerseits der Mensch, der das Eis bekniet, es mit Folien abdeckt, um die Schmelze zu verzögern, da ist aber auch der Mensch, der den Mensch in und auf den Gletscher führt und dann ist da auch noch der Mensch, der sich in eine völlig verletzte und surreal anmutende Landschaft begibt, blind, durch die Reflektion (ggf. von Sonne und Schnee) geblendet, dass das worin „wir“ uns befinden nichts mehr mit der eigentlichen Idee, also dem Bild, unserer Projektion von Natur zu tun hat, sondern vielmehr den Fall von ganz oben spiegelt.
Dass unsere Gegenwart auf 4,5 Milliarden Jahren Vergangenheit aufliegt, ist nicht unbedingt in unserem Bewusstsein verankert. Verbunden sind wir aber mit unserer unmittelbaren Vergangenheit, zu der ein umfassender Umbau unserer lokalen und globalen Infrastrukturen zählt sowie jede Menge Wissen und Nicht-Wissen über die Verwandlungen unser Umwelt. Klapschs ästhetischer Blick auf die Spuren des menschlichen Tuns in unsere gestaltete Welt ist weit, aber konzise auf bestimmte Details fokussiert. Jedes Bild bringt Kompositionen zu Tage, deren politischer Hintergrund gleichzeitig Untergrund und Auslöser sind, die uns vor Augen führen, was wir nicht nur zu verlieren haben, sondern bereits verloren ist.
Link: Website Thorsten Klapsch