HAND IN HAND
Galerie im Schloss Bellevue, Berlin
16.07.2024 – 01.07.2026
Heike Bollig, Andrea Büttner, Lenia Hauser, Olaf Holzapfel, Hans Salentin
Kuratiert von Inka Gressel und Susanne Weiß
Fühlen, greifen, riechen, gehen, tasten – was hält uns und unsere Gesellschaft zusammen? Ist es eine Hand, die wir unserem Gegenüber reichen, ein Knopf, mit dem wir etwas Offenes schließen oder allgemein das Tätig-Sein? Über dem Portal von Schloss Bellevue wachen drei Relieffiguren, deren Attribute für den Ackerbau, die Jagd und die Fischzucht stehen und an die einstige ländliche Umgebung des Schlosses erinnern. Die Figuren verbinden sich in ihrem handwerklichen Können mit dem Kern der Ausstellung: Hand-Arbeit schafft einen gemeinschaftlichen Raum, in dem die Dinge produktiv werden und miteinander in Verbindung treten. Die eingeladenen Künstlerinnen und Künstler verhandeln in ihrer künstlerischen Praxis soziale, politische, ökologische und ästhetische Aspekte und verbinden diese bewusst mit handwerklichen Techniken. Durch das Ineinandergreifen der Tätigkeiten und des Materials entsteht eine neue Perspektive auf Tradiertes und Zeitgenossenschaft: Taktiles Wissen und Können ist Teil der zehntausenden Bewegungen, die unseren Alltag bestimmen – wie das Öffnen und Schließen oder das Annähen eines Knopfes.
Lenia Hauser ist eine genaue Beobachterin alltäglicher Texturen. Sie richtet ihren Blick beim Gehen bewusst auf den Boden unter unseren Füßen. Das unscheinbare, unregelmäßige, improvisierte Gefüge, das sich über mehrere Jahrhunderte organisch gebildet hat oder von Menschenhand zusammengesetzt wurde, erzählt von geologischen und geopolitischen Bewegungen. Diese Bodenformationen, die unseren täglichen Bewegungen im Raum zugrunde liegen und sie bestimmen, bilden das Fundament für Lenia Hausers eigene visuelle Interpretation, die sie malerisch übersetzt. In ihrer Malerei folded stones berühren und überlappen sich Ölkreide und Acryl mit der Spraydose. Die Künstlerin arbeitet auf festem Untergrund, um eine möglichst unmittelbare Erfahrung des Farbauftrags zu erhalten. Ihre malerischen Gesten sind abstrahierte, herangezoomte Momentaufnahmen, die sich durch ihre Perspektive weiten und Vielstimmigkeit erlangen. Konkret verbindet sich das Grün des Rasens vor Schloss Bellevue mit dem Innenraum und verweist auf die Ressourcen der Erde.
Die in verschiedenen Medien arbeitende Künstlerin Andrea Büttner fertigte im ländlichen Brandenburg Skizzen von Arbeiterinnen und Arbeitern bei der Spargelernte und übersetzte ihre Gesten und Bewegungen in monumentale, expressive Holzschnitte. Diese Werkgruppe der Erntenden zeigt auf ihre Umrisse, es handelt sich um reduzierte Darstellungen von sich bückenden Figuren oder von Händen bei der Arbeit. Die Holzschnitte sind Teil einer Auseinandersetzung mit der widersprüchlichen öffentlichen Debatte um das Thema der regionalen Spargelernte, die nur durch die Unterstützung von Arbeitsmigrantinnen und -migranten möglich ist. Mit den Produkten der menschlichen Hand thematisiert Andrea Büttner stets auch Arbeitsbeziehungen, Arbeitswelten und den (symbolischen) Wert von Arbeit − sowohl von Handarbeit als auch von künstlerischer Arbeit.
Die taktilen und duftenden Heubilder von Olaf Holzapfel changieren zwischen Fläche und Raum. Das Material aus der Landschaft, die Erträge des Ackers, gehen in ein neues künstlerisches Landschaftsbild ein. Der Rückgriff auf handwerkliche Kulturtechniken und die Zusammenarbeit mit Handwerkerinnen und Handwerkern spielt eine zentrale Rolle in der Arbeit des Künstlers: Gemeinsam bearbeiten sie natürliche und ortstypische Materialien wie Holz, Stroh oder Naturfasern und etablieren lokale kulturelle Sprachen neu, schaffen Zwischenräume für Neues. Für seine dicht geflochtenen Heubilder verwendet Olaf Holzapfel bis zu acht Meter lange Schnüre aus getrockneten Grashalmen, Wildblumen und Kräutern, die nach einem mündlich überlieferten Verfahren in Gemeinschaftsarbeit gedreht und gebunden werden. Olaf Holzapfel nennt diese Arbeiten auch Lichtbilder.
Die unsichtbaren und sichtbaren Hände sind einmal mehr ein tragendes Bild in der Ausstellung. Der Zero-Künstler Hans Salentin entwickelte in seinem plastischen bildnerischen Werk der 1960er und 1970er Jahren Alternativen zu den bisherigen Kunstwertigkeiten und orientierte sich an den Leitthemen Technik und Industrie. Im Kunstschaffen fand er nach seinen Kriegstraumata – Hans Salentin kehrte 1945 aus dem sibirischen Arbeitslager zurück – die Zuversicht für einen Neuanfang. Er collagierte und überarbeitete alltägliche Fundstücke, arbeitete bereits gestaltete Materialen um, fügte heterogene Teile zusammen und untersuchte die Zukunft des Körpers inmitten von Apparaten und Maschinen. Salentin setzte sich mit der transformativen Kraft der Kunst und der ästhetischen Umarbeitung einer mehr und mehr von den Möglichkeiten technisch-industrieller Entwicklungen geprägten Umwelt und Gesellschaft auseinander. Als wären die hier gezeigten Hände aus Aluminium die Prothese, mit der wir den Abstand zwischen uns überwinden und uns berühren können. Fast.
Ein Knopf ist von jeher ein metaphorisches Objekt, das den Volksglauben geprägt hat. Ein Gebrauchs- aber auch Prunkgegenstand, der öffnet und schließt, die Dinge zusammenhält und Signale an sein Gegenüber sendet. Die Knöpfe von Heike Bollig sind aus Keramik modelliert, die Metallicglasuren bringen sie als Unikate zum Vorschein. In den stark vergrößerten Knöpfen sind auch Risse zu erkennen; in kleinen Abweichungen von der Norm und vermeintlichen Fehlern brechen technische und kulturelle Ideologien auf.
Die Knöpfe sind Teil von Heike Bolligs Projekt zum Thema „Reparatur und Krise“, in dem es um Reparatur als Mittel geht; um Selbstwirksamkeit in immer komplexeren sozialen, politischen, ökologischen Kontexten. Die Künstlerin und Kunstvermittlerin setzt sich mit der materiellen Kultur, dem öffentlichen Raum, Handwerk und Parallelökonomien auseinander und mit dem widerständigen und transformativen Potenzial von Dingen. So macht Heike Bollig die Dinge konkret, denkt über Qualitäten nach und erweitert Bedeutungen. Die Knöpfe sind darüber hinaus „inklusiv“, denn sie dürfen auch berührt und ertastet werden.
Ebenso wie Dinge hergestellt und erneuert werden, lassen sich auch gesellschaftliche Beziehungen reparieren. Das erfordert, Gewohnheiten zu wechseln, Blicke zu ändern, im Dialog zu sein, sich oder die Dinge zu verändern. Die versammelten Arbeiten werfen Fragen zu Arbeitsverhältnissen und zur Materialität von Räumen auf, zu verlorenen Gefühlsräumen und zu unserer Fähigkeit, gemeinsame Bindungen selbst zu schaffen, ohne dabei an poetischer Leichtigkeit einzubüßen. Wie können wir unseren Ort finden, wie unseren Umgang miteinander gestalten? Wie zirkulieren wir und die Dinge und Materialien in unserer Gesellschaft, welche Veränderungen sind im Zusammenspiel möglich?
Fotos: Jens Ziehe
Heike Bollig
Andrea Büttner
Lenia Hauser
Olaf Holzapfel
Hans Salentin