GEGEN FAULHEIT. NEUES UND UNGESEHENES AUS DER SAMMLUNG PRINZHORN.
Heidelberger Kunstverein
23. April 2016 – 11. Juni 2016
Kunst ermöglicht auch Zugang zu Welten, die uns unbekannt oder fremd sind. Den Künstlern unter Umständen ebenso wie den Betrachtern – Welten, die sich der direkten Begrifflichkeit entziehen und erst in der Verbildlichung eine Annäherung zulassen.
Das belegen viele der Werke, die der Psychiater und Kunsthistoriker Hans Prinzhorn (1886 – 1933) zusammengetragen hat. Der historische Bestand der berühmten Sammlung Prinzhorn umfasst ca. 6000 Zeichnungen, Aquarelle, Gemälde, Skulpturen, Textilien und Texte, die Patienten psychiatrischer Anstalten zwischen 1840 und 1945 geschaffen haben. Seit 1980 wächst die Sammlung dieses Museums erneut durch Schenkungen von Kunst Psychiatrie-Erfahrener: Der neuere Bestand umfasst mittlerweile ca. 14.000 Werke.
Die Ausstellung ›Gegen Faulheit‹ zeigt sechs Positionen aus der jüngeren Sammlung des Museums, die größtenteils zum ersten Mal der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Die Auswahl betont die vielfältigen Lebensgeschichten der Künstler und damit verbunden auch die Diversität der künstlerischen Ausdrucksformen, die Malereien, Zeichnungen, Stickbilder oder Objekte umfassen. Die ausgewählte Kunst unterscheidet sich formal kaum von anerkannten Positionen, doch ist der Weg der Künstler zur Kunst häufig ein anderer, der vor allem von psychischer Erkrankung geprägt ist: Die Kunst wird hier zum dringlichen Ausdruck einer oftmals alternativlosen Selbstbefragung und -vergewisserung.
Die Avantgarde des 20. Jahrhunderts hat u. a. das Verhältnis von Kunst und (Alltags-) Leben im Hinblick auf seine gegenseitige Entgrenzung hin befragt. Diese Überschreitung von Ästhetischem und Nicht-Ästhetischem steht auch bei den Künstlern der Sammlung Prinzhorn im Vordergrund. Doch wird hier in der unauflöslichen Verschränkung von Kunst- und Lebensform das dichotome Verhältnis nicht durch eine künstlich herbeigeführte Überschreitung aufgehoben, sondern weil sowohl Leben als auch Kunst der psychiatrisch Behandelten von unbewussten und psychischen Zusammenhängen unentrinnbar durchzogen sind. Das Produktive und Berührende dieser Überschreitungen, die auch auf zeitgenössische Interdependenzen von Kunst und Gesellschaft, Kunst und Kritik, Kunst und Wissenschaft verweisen, wird in der Betrachtung der Arbeiten offenbar.
In den letzten zehn Jahren haben umfassende Ausstellungsprojekte immer wieder den Versuch unternommen, die In- und Exklusionsmechanismen der Kunstgeschichtsschreibung zu hinterfragen. Durch den Kontexttransfer von der Sammlung in den Kunstverein wandern nicht nur die Künstler, sondern auch ihre Werke zwischen den Welten und es wird veranschaulicht, wie sehr die Grenzen der Kunst und ihrer Geltung fließend und verhandelbar sind. Mit dem Transfer reichen sich die beiden Institutionen in ihrer Programmatik die Hände: Wichtiges Ziel der Sammlung Prinzhorn ist es, zur Entstigmatisierung psychischer Erkrankung beizutragen – Ziel des Kunstvereins, beständig die Grenzen des aktuellen Kunstbegriffs auszuloten und zu erweitern.
›Gegen Faulheit‹ ist ein Zitat aus einer malerischen Bild-Text-Skizze von Dietrich Orth, des wohl bekanntesten Protagonisten der ausgewählten künstlerischen Positionen. Gegen Faulheit und für das Nachdenken: In der Ausstellung werden Fragen zum Verhältnis von Kunst und Leben, Stigma und Geltung, Ästhetischem und NichtÄsthetischem anhand der eindrücklichen Arbeiten angestoßen und zur Diskussion gestellt.
Wann gilt Kunst als sogenannte Outsider Art und wann nicht? Generiert die Ausbildung an der Kunstakademie den Unterschied oder die Anerkennung durch das Betriebssystem Kunst? Liegt es am Kontext, in dem das Werk gezeigt, vermittelt und rezipiert wird? Welche Rolle spielt die Autonomie? Was gilt als ›normal‹ und was als ›krank‹? Und was ist Kunst?
Die Ausstellung ist eine Kooperation mit der Sammlung Prinzhorn. Die Sammlung Prinzhorn ist eine Einrichtung des Universitätsklinikums Heidelberg.